"Second-Hand"-Hund – Ja oder Nein?
Manch einer verlässt ein Tierheim geradezu fluchtartig, emotional überwältigt von den Eindrücken der Atmosphäre und vor allem der großen Anzahl heimatloser Hunde. Auf der Suche nach einem vierbeinigen Hausgenossen geht man hin, noch voller guter Dinge und Optimismus. Doch dann siegt oftmals die Angst vor dem Ungewissen, was auf einen zukommen mag und die Angst davor, einen "gestörten" Hund aufzunehmen.
Daraufhin entscheiden sich viele doch wieder für den Welpen – denn da weiß man vermeintlich, was man hat...
Leider zeigen die hiesigen Tierheime einen weiteren Müllberg unserer Gesellschaft auf: Was nicht mehr gefällt, nicht mehr passt, zu viel Arbeit macht oder bei dem geplanten Urlaub stört, wird weggeworfen. Und es kommen immer weniger Menschen, um diesen "tierischen Müll" wieder einzusammeln. Manch ein lieber, freundlicher Hund ohne Probleme muss jahrelang sein Leben hinter Gittern fristen. Seine einzige "Schuld" war wohl die, jemals geboren worden zu sein, einer derzeit falschen Rasse anzugehören. Ein so genannter "Kampfhund" zu sein, ist für viele Hunde heutzutage ein Todesurteil. Einigen Menschen ist kein Grund zu peinlich, ihr Tier im Tierheim abzuliefern, manch einer schiebt seinen Hund sogar ab, weil er in der Familie alt geworden ist und nun aufgrund gewisser Zipperlein nicht mehr mithalten kann und daher lästig wurde. Besonders hart Gesottene fragen das Tierheimpersonal im gleichen Atemzug, ob derzeit junge Hunde zu vermitteln sind, während die ihren alten Hund in den Zwinger schieben! Andere sind zu feige und binden den Hund nachts einfach am Tierheim-Zaun fest oder deklarieren ihn als Findling. Dies erschwert die Vermittlung, da nichts über den Hund bekannt ist.
Vorurteile
Das Vorurteil, dass alle Tierheimhunde gestört seien, hält sich leider immer noch hartnäckig. Natürlich gibt es sie: die überängstlichen, die aggressiven, die unverträglichen Hunde, die in ihrem bisherigen Leben schon viel Leid erfahren haben und sich nun dementsprechend verhalten. Es ist jedoch niemand gezwungen, den 60 kg schweren Koloss, der jeden anderen Hund angreift oder den ängstlich um sich beißenden Hund aufzunehmen. Jeder künftige Halter eines "Second-Hand" Hundes sollte sich seiner eigenen Fähigkeiten in Bezug auf Hundeerziehung- und Haltung bewusst sein. Diesen Hunden ist mit einer unerfahrenen Hand, unzähligen fehlgeschlagenen Erziehungsversuchen nicht geholfen – am Ende landen sie erneut hinter Gittern.
Ausgang: ungewiss?
Ein Hund aus zweiter Hand kann sich durchaus schlecht benehmen. Völlig unerzogen, nicht stubenrein, mit "Macken" behaftet, es kann ein Kläffer sein, ein Hund, der nicht alleine bleibt, an der Leine zieht oder Passanten anspringt.
Na und? Ist der Welpe gehorsam, stubenrein, bleibt er alleine, wird er niemals hoch springen, jagen? Ob er der Traumhund wird, ist anfangs ebenso ungewiss und abhängig von einer fachmännischen, vernünftigen Erziehung. Und für diese ist es auch bei einem Hund aus zweiter Hand noch nicht zu spät, nur manchmal etwas mühsamer. Wer sich jedoch aus einem solchen Tierheimhund nach einiger Zeit einen gehorsamen Familienhund erzogen hat, kann mit Recht stolz auf sich und das Tier sein!
Erziehung muss immer sein!
Viele Käufer eines Welpen sind nach einiger Zeit verzweifelt, weil der Hund sich nicht so entwickelt wie sie es erhofft hatten. Viele Zweikämpfe und Erziehungsprobleme hätten sich die Welpenbesitzer nicht träumen lassen, als sie den Zwerg vom Züchter abholten – auch ein Welpe erzieht sich eben nicht von alleine. Und deshalb landet eben so mancher von ihnen in der Pubertätsphase angebunden an der Autobahn oder im Tierheim, nur mit dem "Makel" seiner hundeüblichen Lebendigkeit behaftet und ansonsten eigentlich problemlos. Er benötigt lediglich einen halbwegs hundeverständigen und geduldigen Menschen und wartet nun sehnsüchtig im Tierheim.
Die meisten Probleme bezüglich Aggressionen gegen die Kinder der Familie tauchen übrigens nicht bei Tierheimhunden auf, sondern bei Hunden, die von klein auf in der Familie lebten. Ihnen wurde niemals die Rangordnung des "Rudels" deutlich gemacht und sie wurden schlichtweg nicht richtig erzogen. Und selbst solche Hunde, in der einen Familie eine Bedrohung, können in einer neuen Familie unter vernünftiger Anleitung wie ausgewechselt sein.
Gut überlegen!
Wer sich den Tierheimhund nach "Liebe auf den ersten Blick" auswählt, kann sich die Katastrophe seines Lebens mit nach Hause nehmen. Man sollte sich immer die Zeit nehmen, sein künftiges Familienmitglied kennen zu lernen und wirklich zu fühlen, ob man zueinander passt. Kein Hund ändert sich aus Dankbarkeit und kein Hund ist aus lauter Freude, dass er nach Monaten oder sogar Jahren den Zwinger verlassen darf, lieb, nett und handlich. Mitleid ist daher der schlechteste Ratgeber. Wenn Sie einen oder auch mehrere Hunde in die engere Auswahl genommen haben, sollten Sie ihn öfter besuchen, mit ihm spazieren gehen etc.
Einem Hund etwas beizubringen ist einfach. Einem Hund festgefahrene, nicht gerade positive Eigenarten ab zu gewöhnen beziehungsweise durch positive Verhaltensweisen zu ersetzen ist teilweise äußerst schwierig – manchmal gar nicht mehr möglich. Hier sollte man wirklich realistisch sein.
Doch gerade der Hundeneuling ist mit einem erwachsenen, nicht allzu schwierigen Hund meist viel besser beraten als mit einem Welpen. Von einem erwachsenen Hund kann man viel lernen und man hat Zeit, die Hundesprache zu erlernen sowie den Umgang mit dem Tier. Fehler wirken sich längst nicht so verheerend aus wie bei einem Welpen. Ein Welpe aber ist ein sehr sensibles Geschöpf und sehr leicht seelisch zu zerstören. Und ein Hundeteenager kann anstrengender und eine größere Herausforderung sein, als sich der Hundeanfänger in seinen kühnsten Träumen gedacht hat.
Langzeitkandidaten
Manche Hunde verbringen Jahre im Tierheim. Manchmal versteht man nicht, warum alle Menschen an ihnen vorübergehen. Bei anderen irgendwie schon? Es kostet mit Sicherheit Überwindung einen Dreibeiner bei sich aufzunehmen oder einen Hund mit Diabetes, einen einäugigen Hund... Teilweise kostet dies auch viel Geld. Und dennoch haben gerade diese Hunde so sehr eine neue Chance verdient. Andere Langzeitkandidaten sind die schwierigen Hunde, denen nicht mehr jeder gewachsen ist. Sie trifft es besonders hart, da nicht immer in den Tierheimen hundeverständige Trainer mit ihnen arbeiten.
Aber auch weniger dramatische Problemchen lassen einen Hund zum Langzeitkandidaten werden. Groß und schwarz? Dann sitzt er meist lange Zeit im Zwinger. Nicht stubenrein? Grund genug, den Hund meist schon am nächsten Tag wieder zurückzubringen. Er bleibt nicht alleine? Wenige haben die Geduld, es ihm behutsam beizubringen.
Und doch gibt es sie...
Jeder individuelle Hund aus zweiter Hand hat seine eigene Geschichte, ist ein kleines Überraschungspaket, eine Persönlichkeit, vielleicht schon gebrochen an seinem bisherigen Leben.
Und doch gibt es sie, die Menschen, die ganz bewusst nur einen Hund aus dem Tierheim nehmen statt vom Züchter. Jeder hat hierzu seine eigenen Gründe – meist weil sie einfach nicht wegsehen können. Und was gibt es Schöneres, als einem Hund sein Lachen und seine Seele wiederzugeben, ihm die Schönheiten des Lebens zu zeigen, die er vielleicht noch nie kennen lernen durfte und sich selbst auf dieses Abenteuer einzulassen: Hund mit Vergangenheit. Entscheiden muss jeder für sich.